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Von kleinen Gesten und großen Fragen

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Willkommenskultur statt Ausgrenzung: Wie Vereine sich für queere Menschen öffnen können / Tipps für den Einstieg und konkrete Situationen

Queere Menschen machen Sport. Sie sind Mitglieder in Sportvereinen, treiben Breiten- oder Leistungssport, sie sind als Übungsleitende oder Vorstandsmitglieder aktiv. Manche kommunizieren dabei ganz offen, dass sie Teil der LGBTQIA+ Community sind. Andere behalten für sich, dass sie homo- oder bisexuell leben oder dass das ihnen bei der Geburt zugewiesene nicht mit ihrem tatsächlichen Geschlecht übereinstimmt. Das kann daran liegen, dass sie Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung haben, oder weil es für sie in diesem Kontext keine Rolle spielt. Ziemlich sicher ist aber, dass es mehr betroffene Personen sind als die 22, die in der letzten Bestandserhebung als „divers“ auftauchen. Gerade in größeren Vereinen kann man davon ausgehen, dass nicht alle Mitglieder der vermeintlichen Norm entsprechend, also heterosexuelle cis Menschen sind. Schließlich bezeichnen sich rund 7 Prozent der Deutschen als homosexuell, der Anteil der intergeschlechtlich geborenen Personen in Deutschland liegt etwa so hoch wie der der Rothaarigen. Und die sind in Vereinen ja auch keine große Seltenheit! Wollen Vereine Toleranz und Offenheit nicht nur plakativ beschwören, sondern auch im Vereinsalltag leben, empfiehlt sich deshalb ein sensibler Umgang mit queeren Personen. Wir geben einen Überblick.

Sich informieren und fortbilden

Vereinsverantwortliche und Übungsleitende müssen keine Experten für sogenannte LGBTQIA+ Themen werden. Ein Grundwissen, was sich hinter oben genannten Begriffen verbirgt, ist aber ein erster und wichtiger Schritt in Richtung Offenheit und Sensibilität. Die rechts abgebildete Tabelle gibt hier einen ersten Überblick. 

Llesbischverkürzt: Frau liebt Frau
Gschwul (gay)verkürzt: Man liebt Mann
Bbisexuellverkürzt: Person liebt mehr als ein Geschlecht
Ttransgeschlechtlichdas bei Geburt zugewiesene und tatsächliche Geschlecht stimmen nicht überein
QqueerSelbstbezeichnung für Menschen. die nicht cisgeschlechtlich und/oder heterosexuell leben
Iintergeschlechtlichdas körperliche Geschlecht passt nicht (eindeutig) in die medizinische Norm "männlich oder weiblich"
AasexuellPersonen fühlen kein sexuelles Verlangen
+PlusDas Plus steht symbolisch für weitere sexuelle und geschlechtliche Identitäten, die sich in die genannten Kategorien nicht einordnen können oder wollen
nicht-binär Personen, die sich als nicht-binär bezeichnen, ordnen sich entweder im binären Geschlechtssystem nicht (eindeutig) zu oder lehnen dasselbe als Kategorie ab

Auch entsprechende Fortbildungsformate, wie sie gerade von der Sportjugend Hessen und der Bildungsakademie des lsb h angeboten wurden, eignen sich gut als Einstieg. „Eine Möglichkeit ist auch, an bestehende Strukturen vor Ort anzuknüpfen“, sagt Vielfalts-Referentin Julia Eppler von der Sportjugend Hessen. „Warum nicht beim Stammtisch für queere Menschen nachfragen: Was würde euch darin hindern, euch in unserem Verein wohlzufühlen? Fühlt ihr euch ausgegrenzt, wenn ihr zum Beispiel unsere Webseite anschaut und was sollten wir ändern?“ Solche Gespräche helfen auch dabei, Vorbehalte und falsche Annahmen aus der Welt zu schaffen. „In der großen Mehrheit haben queere Personen nämlich die gleichen Bedürfnisse und Anforderungen an den organisierten Sport wie alle anderen auch. Wenn Akzeptanz und Interesse da sind, ist deshalb schon viel gewonnen.“ Vereine oder Verbände, die konkrete Beratung wünschen, finden außerdem bei der Sportjugend Hessen entsprechende Ansprechpartner*innen.

Haltung zeigen, richtig kommunizieren

Eine derjenigen, die entsprechende Beratungen durchführen, ist Annamaria Peter. Ihr zufolge ist es vor allem im ländlichen Raum wichtig, dass Vereine Offenheit zeigen. „In Frankfurt oder Darmstadt gibt es für queere Menschen viele Angebote. Auf dem Land sind Sportvereine häufig die einzige Anlaufstelle – gerade für Jugendliche, die sich außerschulisch betätigen wollen.“ Deshalb gelte: „Jedes Gender-Sternchen, jede Regenbogenflagge kann ein Zeichen und ein Mutmacher sein.“ Natürlich müsse darin auch eine Haltung stecken, die Bereitschaft, sich auch ernsthaft mit möglichen Problemen und Herausforderungen auseinanderzusetzen. Im Optimalfall gibt es in Vereinen deshalb eine Ansprechperson, die beim Erstkontakt, aber auch bei konkreten Fragen zur Verfügung steht – und zwar auch dann, wenn jemand sich anonym an sie wendet. „Das muss kein Experte oder keine Expertin sein, es reicht, eine humanistische Haltung zu haben, empathisch zu sein und interessiert.“ Diese Person sollte auch einen Blick darauf haben, wie der Verein kommuniziert und agiert. Die Möglichkeit, beim Mitgliedsantrag „divers“ oder „keine Angaben“ zu wählen, ist in diesem Zusammenhang eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus können Vereine zum Beispiel in ihrer Satzung verankern, dass queere Menschen im Verein willkommen sind. „Darauf kann man sich dann auch beziehen, wenn jemand einen doofen Witz macht oder zum Beispiel „schwul“ als Schimpfwort benutzt“, sagt Peter. In diesem Zusammenhang verweist sie darauf, dass man nie wissen könne, ob betroffene Personen anwesend sind. „Wenn jemand zum Beispiel noch nicht offenbart hat, dass er oder sie homosexuell oder intergeschlechtlich ist, ist so ein Hinweis ein kleines, aber starkes Signal.“

Umgang mit Outings

Traut sich eine Person, sich gegenüber Vereinsverantwortlichen oder Übungsleitenden, als queer zu outen, ist ein sensibler Umgang gefragt. „Egal ob das für dich eine total ungewohnte Situation ist oder du es völlig normal findest: Für die betroffene Person kann ein Outing mit großen Ängsten behaftet sein“, ordnet Julia Eppler ein. Sie rät deshalb, sich für das Vertrauen zu bedanken und nachzufragen, ob und in welcher Form man die Person unterstützen könne. Wichtig sei außerdem, „auf keinen Fall“ ein Fremd-Outing vorzunehmen oder zum Outing gegenüber anderen zu drängen. „Bei Minderjährigen gilt dies auch gegenüber den Eltern“, betont Peter. „Die Privatsphäre und das Vertrauen des Kindes oder Jugendlichen stehen hier an erster Stelle.“

Trans Personen im Sportbetrieb

Die Frage, wie mit transgeschlechtlichen Personen im Sportbetrieb umgegangen werden sollte, ist unterdessen keine leichte. Deshalb ist auch für die Mitarbeitenden der Sportjugend, die sich mit Herzblut für Vielfalt und Offenheit im Sport einsetzen, die in ihrer E-Mail Signatur ihre Pronomen („sie/ihr“) angeben und in ihrer Sprache sensibel sind, klar: „Es darf Diskussionen geben.“ Gleich hinterher schieben sie aber: „Es gibt jedoch Bereiche, in denen der Fokus auf körperliche Unterschiede weniger nachvollziehbar ist.“ So spiele es bei vielen Sportangeboten keine Rolle, ob eine Person den Transitionsprozess, sprich die Geschlechtsangleichung, schon vollständig abgeschlossen hat, oder wie hoch der Testosteronspiegel aktuell ist. „Ich kenne zum Beispiel einen Boule-Verein, in dem Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer zusammen spielen: Da sollten dann auch über trans Personen keine verletzenden Debatten geführt werden“, sagt Eppler. Wollen Vereine queerenfreundlicher sein, bietet es sich generell an, Angebote für alle Geschlechter zu öffnen. Eine andere Möglichkeit ist eine Kooperation mit einer queeren Vereinigung. Sind noch Hallenkapazitäten vorhanden, kann man sie einladen, ein Sportangebot in den Räumen des Vereins durchzuführen – und z. B. mit der Bereitstellung eines Übungsleitenden unterstützen. Schwieriger wird es im leistungsbezogenen Sport. „Hier gibt es Verbände, die sich noch nicht damit befasst haben, andere haben teils problematische Dinge definiert, und wieder andere haben sich bereits stark geöffnet“, so Peter. Mit ihren Kolleginnen bietet sie Beratungen für Vereine an, die mit konkreten Einzelfällen konfrontiert sind.

Das Dusch-Dilemma?

Hier Männer, dort Frauen – und welche Umkleiden und Duschen nutzen nun transgeschlechtliche oder nichtbinäre Personen? Diese Frage kann, muss aber nicht zu Konflikten führen. „Oft hilft es schon, das Gespräch zu suchen“, sagt Eppler. Ist es für irgendwen ein Problem, wenn eine trans* Frau, die mit dem Damen-Team trainiert, die entsprechenden Räume der Frauen nutzt? Ist Aufklärungsarbeit notwendig? Welche Ängste und Wünsche gibt es? Bei den Umkleiden kann zum Beispiel auch eine Toilette als Wechselraum verwendet werden – wenn das für die transgeschlechtliche Person kein Problem ist. „Generell raten wir, den Bedürfnissen dieser häufig von Diskriminierung betroffenen Personengruppe Priorität einzuräumen“, so Peter. Und manchmal, sagt sie, müsse man auch ganz neu denken: „Gruppenduschen finden viele Menschen nicht so toll. Bei der nächsten Renovierung könnte man deshalb über einzelne Kabinen nachdenken.“ Kurzfristig kann im Zweifel eine Duschampel zum Einsatz kommen. Sie zeigt an, wer gerade duscht – und mit wessen Anwesenheit die Person dabei kein Problem hat! „Out of the box-Denken“, nennt Eppler das. Ein schöner Ansatz, der Diversität im Sport nicht nur beim Duschen vereinfachen kann.

Artikel von Isabell Boger in Sport in Hessen, Ausgabe 10, vom 20.05.2023

Kontakt

Sportkreis Wiesbaden e.V.
Hagenauer Str. 47
65203 Wiesbaden

 

Tel: (0611) 74944